Der Emir von Novartis

16. August 2023

Interview mit Georg Schröckenfuchs über eine große Karriere.

Head Gulf and Saudi Country Group, Innovative Medicines. Forbes reihte ihn zu den East Top 28 Most Influential CEO 2022 in MEA und Middle East Top 13 Healthcare Leader 2022. Geschichten aus Slovenien, Polen, Griechenland, Italien bis in die Emirate und Südafrika.

Interview mit Georg Schröckenfuchs über eine große Karriere.

Head Gulf and Saudi Country Group, Innovative Medicines. Forbes reihte ihn zu den East Top 28 Most Influential CEO 2022 in MEA und Middle East Top 13 Healthcare Leader 2022. Geschichten aus Slovenien, Polen, Griechenland, Italien bis in die Emirate und Südafrika.

Wie kamst du zur Pharma, und welche Personen waren involviert? 

Ich wollte wie mein Bruder Medizin studieren. Da ich aber auch einen normalen Hausverstand für Wirtschaft in mir entdeckte, begann ich kurzzeitig Medizin und Betriebswirtschaft zu studieren. Nach einem Jahr habe ich mich aber entschieden. Als praxisorientierter Mensch habe ich mir gesagt: ich beginne lieber zu arbeiten und bilde mich sukzessive weiter. Mein Bruder Martin Schröckenfuchs hatte bereits in der Pharmaindustrie begonnen. Daher kannte ich den Zugang zur Pharmaindustrie. Bereits meine zweite Bewerbung – an Glaxo – war erfolgreich. Dr. Ullrich Bode hat damals eine zweite Vertriebslinie eingezogen und junge Leute aufgenommen. Dort passte ich super hinein. 

Nach einem Jahr im Außendienst wurde ich Produktspezialist und begann den Lehrgang für Werbung und Verkauf an der WU Wien. In dieser Zeit schrieb ich auch das Konzept der Atemschule und launchte es. Nach Abschluss des Uni-Lehrgangs wechselte ich ins Produktmanagement für Pulmologika. Mein Chef war damals Otto Spranger.

Du warst dann dreizehn Jahre bei Glaxo. 

Ja, denn nach drei Jahren Produktmanagement gab mir Ulli Bode die Chance die BU-Leitung für Respiratory und Neurologie zu übernehmen. Kurz im Amt hatten wir das Glück Seretide rasch die Haupverbandszulassung zu bekommen. Mit einer ungewöhnlich innovativen Kampagne, die damals von Eva Pernek, dir und der PBK Ideenreich erarbeitet wurde, schafften wir einen der weltweit besten Launches.

In weiterer Folge fusionierte Glaxo mit Wellcome und später mit Smith Kline Beecham. – Das neue Unternehmen GSK tickte einfach anders. In dieser Zeit hat mich Erwin Klein, der damalige Geschäftsführer von Novartis Österreich zur Novartis gelotst. Wir trafen uns damals zufällig. Ich übernahm die Primary Care Abteilung. Und ich muss sagen, jetzt zurückblickend, nach 22 Jahren war es eine meiner besten Entscheidungen. 

Nach weiteren sechs Jahren fragte mich Christian Seiwald, der den Eastern European Cluster übernommen hatte, ob ich nicht das Regional Office in Ljubljana übernehmen möchte, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien & Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, Albanien, Zypern, Malta, Bulgarien und später noch die Ukraine gehörten zu diesem Cluster. Es ging dort, speziell nach dem Jugoslawienkrieg, darum in diesen Ländern eine neue Vertriebs- und Marketingstruktur aufzubauen.

„Wann immer du nicht scheust Risiko zu übernehmen, hast du die größte Lernerfahrung!“

Vier Jahre später Polen?

Ja, nachdem die neue Struktur in den Länder erfolgreich implementiert wurde, hatte Novartis erneut einen Plan mit mir:  Polen und die baltischen Staaten. Die größte Herausforderung war: der Staat Polen stornierte damals alle Reimbursements. Jedes Unternehmen mußte mit allen Produkten nochmals in den Erstattungsprozess und alle Produkte neu verhandeln. Inklusive: alle Files neu aufsetzen und einreichen. 

Lustiger Prozess!

Ja wirklich. Irgendwann bekamen wir damals einen Anruf: wir müssen in einer Stunde um sechs Uhr abends vor Ort sein, um zu verhandeln. Als wir ankamen, wartete allerdings eine Schlange von Mitbewerbern. Um elf wurden wir hineingerufen. Das Verhandlungsteam des Staates bestand übrigens mangels Experten aus dem Gesundheitsbereich aus vorwiegend Verhandlern, die in anderen Bereichen tätig waren: nämlich in der Bauindustrie. Es wurde dann eine Stunde eine Liste mit Produktcodes vorgelesen, um uns kurz zu fragen, ob wir uns eine generelle Preisreduktion von 70 Prozent vorstellen können. Nach unserer Verneinung meinten sie: wir vertagen – kommen Sie morgen wieder. Am nächsten Tag gings um sechs Uhr früh, allerdings mit einem anderen Verhandlungsteam, weiter. So ging das einige Monate hindurch für die gesamte Pharmaindustrie. Wir brachten die überwiegende Mehrzahl unserer Produkte in das Erstattungssystem.

Dann Griechenland

Ja ein Jahr später. Da standen die Griechen kurz vor dem Grexit. Unser Europachef fragte mich – aufgrund der Balkanerfahrung und den Verhandlungen in Polen und krisengeprüft –  ob ich jetzt nicht nach Griechenland als GM gehe möchte. Es gab dort eine super erfolgreiche Novartis Organisation mit laufenden Produkteinführungen, aber auf der anderen Seite galt es, einen Krisenplan zu entwickeln. Nämlich: Wie kann das Szenario der Firma nach einem Grexit aussehen?

Als ich mit meiner Familie in Griechenland ankam, haben die meisten Expats das sinkende Schiff gerade verlassen”. 

Die Strategie war zweigeteilt. Unser Unternehmen war sehr erfolgreich, am Papier. Wir hatten extrem große Außenstände, da der Staat einfach nicht bezahlen konnte: heißt eineinhalb Jahre offene Rechnungen. Meine Aufgabe war also jetzt, einerseits Leadership zu zeigen und andererseits Krisenmanager zu sein. Die durchaus erfolgreichen Mitarbeiter feierten damals, da sie ihre Ziele übertroffen hatten. Ich mußte meinem Team jetzt aber erklären, dass ein Verkauf erst erfolgreich ist, wenn er auch bezahlt wurde.  

Wie kommt man da drüber? Kredite? 

Na ja, du bist vom Mutterkonzern schon abgesichert, aber da gibt es gewisse Rahmenbedingungen, und wenn du dann einfach für einen gewissen Zeitraum nicht mehr bezahlt wirst, dann sagt der Mutterkonzern: So, das sind uneinbringliche Forderungen, und man muss jetzt einfach das Unternehmen herunterdrosseln oder wir können nicht mehr ausliefern. In dieser Phase hatten Unternehmen unterschiedliche Strategien, manche hatten begonnen, nur Waren nach Bezahlung zu liefern. Unser Zugang war, trotz Schwierigkeiten, dennoch Verantwortung gegenüber unseren Patienten zu übernehmen. Du kannst dann nicht, wenn der Staat wirklich in der Krise ist, einfach stoppen. Also haben wir versucht, vernünftige Strategien gemeinsam mit der Regierung zu schmieden. Wir versorgen auch weiterhin den Markt mit unseren Produkten, aber wir müssen, wenn Geld verfügbar ist, bezahlt werden. Das funktionierte dann überraschend gut. 

Dann gings nach Italien?

Ja nach eineinhalb Jahren in Griechenland – Gott sei Dank kein Grexit. – Stand ich auf der Nachfolgeliste als CEO für Italien. Die Hauptaufgabe war den Launch zweier großer Produkte, Cosentyx  in der Dermatologie & Rheumatologie und Entresto in der Kardiologie, erfolgreich zu launchen. Das Land Italien, das so lang gestreckt ist vom Norden nach Süden, hat sehr viele Kulturkreise. Von Schweizer Mentalität im Norden bis zur mediterranen Gelassenheit im Süden. Dazu die Komplexität, dass in Italien alle Provinzen einer regional Selbstverantwortung unterliegen. Manche Provinzen sind zum Beispiel auch steuerautark wie etwa Südtirol. Und dann gibt es andere Regionen wie die Lombardei, die zu einem der reichsten Regionen Europas gehört, aber die müssen die Steuer nach Rom abführen.

Hat man dadurch unterschiedliche Preise? 

Du hast ein Preisgefüge in der pharmazeutischen Industrie, aber du musst dann, nachdem du ein nationales Reimbursement bekommen hast, mit jeder regionalen Regierung weiter verhandeln. 

Du warst dort dann cinque anni…

Dann kam Dubai. Für mich kam der nächste Karriereschritt: ein wirklich großes Gebiet mit mehreren Länder zu führen … mit noch mehr Komplexität. Nämlich Clusterpräsident für drei Unternehmen: Novartis Pharma, Novartis Onkologie und Sandoz. Für Nordafrika, Südafrika und den Mittleren Osten – extrem spannend. 

„Südafrika hat nichts mit Saudi Arabien zu tun. Der Kulturkreis ist riesig.“

Nur um ein Gefühl zu bekommen: von Dubai bis Marokko fliegt man neun Stunden und ebenso nach Südafrika. Wir haben unsere Länder in drei Segmente: Launch-Powerhouse-Märkten, so wie wir sie genannt haben, mehrheitlich die Gulf Region, die aufgrund der natürlichen Ressourcen sehr finanzstark und innovationsfreundlich ist. Dann die Mature-Märkte, wo du neue Strategien für Marketaccess entwickeln musst und die Risikomärkte, weil es ja nach wie vor im Mittleren Osten Konflikte und Kriege gibt und Länder mit Sanktionen belegt sind.

Vielflieger unterwegs … 

Uns war klar, das Geschäft machst du draußen. Unser Team war daher 50 Prozent seiner Zeit unterwegs, um wirklich die Länder zu verstehen, denen Unterstützung zu geben, ja dann auch das Marketing unter den Ländern zu vernetzen, dass von denen, die rasch Produkte einführen, die anderen profitieren und davon lernen können. 

Für mich irrsinnig spannend, neue Kulturen kennenzulernen und Länder die man normalerweise nicht bereist. 

Hattest du auch die nötigen Brainresourcen in der Mannschaft?

Du wärest sehr überrascht über die Ausbildung der Leute in allen Bereichen. Nämlich über die hohe Qualität der Ausbildung. Also, du kriegst dort von allen Ländern Leute, die hochqualifiziert sind. Nordafrikaner aus den ehemaligen Kolonialstaaten zum Beispiel haben meist in Frankreich studiert – Mitarbeiter vom Mittleren Osten studierten viele in England und in Amerika und sind top ausgebildet. Gemischt mit Expats, die dann noch zusätzlich dazukommen, ergibt ein extrem diverses Biotop. Wir haben zwölf Nationalitäten, die in unseren Regionsbüros tätig sind.

Gab es Schwierigkeiten mit den unterschiedlichen Ethnien – plötzlich anders denkende Menschen, die auch anders handeln. Wie geht man damit um?

In der arabischen Kultur ist Vertrauen das Grundprinzip des Wirtschaftslebens. Die Handschlagqualität ist nach wie vor extrem wichtig ist. Zudem: wenn du schon viele Jahre in unterschiedlichen Regionen und Kulturen gelebt hast, lernst du auch den verschiedenen Kulturen mit Respekt gegenüber zu treten. Und wenn du die Menschen respektierst und deren Werte wirklich hoch hältst, dann bist du erfolgreich, und du kannst die Teams wirklich toll aufbauen und toll motivieren. 

Apropos Team. Wir kommen zum Thema Führen…

Es geht nicht darum, die Leute mit Argumenten zu überzeugen, es geht auch nicht darum, nur ihren Verstand anzusprechen, sondern du musst durch Emotion ihr Herz erreichen. Leidenschaft wirklich wecken. Wenn dir das gelingt, dann brennen sie. Vertrauen, Emotionalität, Zugehörigkeit ist in der Arabischen Welt extrem wichtig.

Gibt’s sowas wie Arzneimittelgesetze oder europaähnliche Kassensysteme? Ist alles zentral verwaltet, oder sind die Payer eher die einzelnen Krankenhäuser? Wie funktioniert das in der arabischen Welt?

Es gibt natürlich große Unterschiede von Land zu Land. Aber in unseren wichtigsten Märkten in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und in den anderen Golfstaaten gibt’s Zulassungsbehörden, die extrem gut funktionieren. Du hast normalerweise zur Hälfte einen Privatmarkt, weil natürlich auch sehr viele Expats mit Privatversicherungen dort leben, und dann hast du das staatliche Reimbursement System, das ähnlich dem unseren funktioniert.

Der großen Unterschied in diesen Ländern ist die Schnelligkeit mit der Innovationen eingeführt werden. 

Normalerweise erfolgt eine Registrierung sehr rasch nach einer FDA oder EMA Zulassung, und dann dauert es bis zu sechs Monate und wenn es wirkliche Innovationen sind, wesentlich kürzer, um die Zulassung zu erreichen. 

Zu einer anderen Frage: für die Leser aus den Marketingabteilungen: haben Brandingmaßnahmen noch Wertigkeiten im Pharmamarketing? Oder geht es nur darum, wer hat medizinisch wissenschaftlich den einen Schritt Vorsprung? Genügt heute nicht die generische Bezeichnung?

Mit Sicherheit haben Marken immer noch eine sehr große Bedeutung, vor allem in den neuen Therapieplattformen, Stichwort personalisierte Therapie. Marken von Top-Innovationen verankern sich sofort schneller im Bewusstsein. Wir sehen das besonders bei unseren Innovationen. Denn der Name bürgt dann für Qualität und schafft Vertrauen in das Produkt. 

Wie siehst du die Zukunft der Industrie im Hinblick auf Digitalisierung? Speziell jetzt durch künstliche Intelligenz? Wird Marketing und Vertrieb noch zentraler? Wie erlebst du diese Transformation?

AI und Digitalisierung haben schon seit langem, in der Arzneimittelforschung Einzug gehalten. Roboter zum Beispiel können Molekül um Molekül auf unterschiedliche genetische Strukturen testen. Die Forschungsteams bekommen dann Hinweise, welche Moleküle könnten wo wirken – Also ein komplett neuer Ansatz. Auch klinischen Studien werden durch AI und mittels Simulationsmodelle vereinfacht.

Für unseren Außendienst: ich glaube nach wie vor, Außendienst wird immer notwendig sein. Aber es werden mit Hilfe von AI neue Hilfsmittel zur Verfügung stehen, um unsere Kunden besser zu segmentieren und auf ihre Interessen einzugehen.

Wer waren deine größten Förderer und Mentoren – speziell in Österreich?

Ulli Bode war da einer meiner Förderer der ersten Stunde, von der Einstellung weg bis zu den diversen Positionen. Von Otto Spranger habe ich verkaufen gelernt und von Alfred Essberger das Pharma Marketing. Er war mein Mentor, als ich einer der jüngsten BU-Leiter in Österreich wurde. Und über viele Jahre bis jetzt Christian Seiwald

Noch als letzte Frage. Wo geht die Reise hin? 

Spannende Frage. Grundsätzlich, so wie ich funktioniere, machte ich mir nie Gedanken, wo die Reise hingeht, sondern ich verhalte mich in jedem meiner Assignments oder Verantwortungen immer so, als würde ich für immer bleiben. Da trifft man die besten Entscheidungen. 

Gibts ein Comeback in Wien? Kein Heimweh?

Die Wahrscheinlichkeit ist eher geringer, weil unsere Lernerfahrung im Ausland extrem groß ist. Wir konnten unserer Tochter zu einem Weltbürger erziehen. Sie spricht vier Sprachen, hat auf zwei Kontinenten in 8 Ländern gelebt und kennt keine kulturellen Vorurteile. Solange wir die Möglichkeit haben und es uns wirklich Spaß macht, möchten wir weiterhin im Ausland bleiben. Mein größter Dank gebührt meiner Frau Bettina, im Team sind wir einfach unschlagbar.

Georg und Bettina Schröckenfuchs

Danke Georg, alles Gute!

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