Österreich droht als Standort für klinische Studien hinter andere europäische Länder ins Hintertreffen zu geraten, wenn es nicht rasch notwendige legistische, organisatorische und finanzielle Optimierungen vornimmt. Davor warnte die Pharmig gemeinsam mit Vertretern der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und der Akademia am 20. Mai – dem Tag der klinischen Forschung – bei einer Pressekonferenz in Wien. Der Hintergrund: Bereits 2016 tritt die neue EU-Verordnung über die Durchführung klinischer Studien in Kraft, die eine Harmonisierung der Verfahren innerhalb der EU mit sich bringt. „Damit verliert Österreich einen bisherigen Bonus“, erinnerte Dr. Ilona Reischl, Abteilungsleiterin Klinische Prüfungen am Institut Überwachung der AGES. Derzeit müssen AGES und Ethikkommissionen in Österreich noch binnen 35 Tage über einen Antrag auf eine klinische Studie entscheiden. Dies ist im europäischen Vergleich eine kurze Reaktionszeit und Österreich deswegen für Antragsteller aus der Industrie interessant. Diese Frist wird aber ab 2016 europaweit mit 60 Tage vereinheitlicht, Österreich verliert einen Standortvorteil. Gleichzeitig bringen sich gerade andere Staaten – wie etwa Dänemark – in Stellung, um zukünftig eine große Rolle bei klinischen Studien zu spielen.
Schon jetzt ist ein Rückgang an klinischen Studien in Österreich zu verzeichnen. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der in Österreich durchgeführten Prüfungen laut aktuellen Zahlen der Pharmig um 15 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der wichtigen Phase-1-Studien hat sich seit 2008 fast halbiert. Länder, die hier involviert sind, nehmen üblicherweise auch an den anderen Phasen teil. Dr. Wolfgang Bonitz, stv. Vorsitzender des Arbeitskreises Klinische Forschung der Pharmig, ist es ein „großes persönliches Anliegen, Studien nach Österreich zu holen“. Entscheidend dafür, ob sich eine Konzernzentrale entschließt, in einem Land eine Studie durchzuführen, seien Qualität und Schnelligkeit der Durchführung, Verlässlichkeit der Partner und ausreichend verfügbare Patienten. Hier hätte Österreich teilweise noch Aufholbedarf.
So wie Bonitz sieht Univ.-Prof. Dr. Thomas Pieber, MedUni Graz und Leiter zweier Forschungsinstitutionen, die Notwendigkeit, in mehr und bessere Ressourcen für klinische Prüfungen in Österreich zu investieren: Prüfärzte und Study Nurses sollten vermehrt ausgebildet werden und dann auch von den Krankenhausträgern die Zeit für klinische Studien zur Verfügung gestellt bekommen, eigene Clinical Research Centres für Phase-1-Prüfungen wären einzurichten.
„Bund, Länder, aber auch die Krankenhausträger müssen den Wert, den Forschung für unser Land hat, erkennen und eine Strategie für Österreich erarbeiten“, sagte der Generalsekretär der Pharmig Dr. Jan Oliver Huber und forderte einen „Masterplan Klinische Forschung“ unter federführender Beteiligung des Gesundheitsministeriums.
Bevor die neue Verordnung in Kraft tritt, müssen in Österreich auch noch legistische und organisatorische Anpassungen vorgenommen werden. Das neue Prozedere für die Bewilligung klinischer Studien sieht ein gemeinsames – und nicht wie bisher paralleles – Prüfverfahren von AGES und Ethikkommission, einen gemeinsamen Bericht und individuelle Fristenläufe vor. Das bedürfe einer Neuorganisation der Ethikkommissionen, die im österreichischen Arzneimittelrecht geregelt werden, forderte Univ.-Prof. Dr. Ernst Singer, Vorsitzender der Ethikkommission der MedUni Wien und stv. Vorsitzender des Forums der Österreichischen Ethikkommissionen. Österreich stehe auch vor der Entscheidung, ob es in Zukunft eine führende Rolle bei Zulassungsstudien spielen wolle, appellierte AGES-Vertreterin Reischl. Wenn die AGES als „Reporting Member State“ – also als verfahrensführende Behörde- tätig sein soll, dann müssten auch die dafür benötigten Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.(sj)