Vielleicht steht Boehringer-Chef Professor Dr. Dr. Andreas Barner an Fronleichnam die größte Prüfung seines Lebens bevor – größer noch als manch andere aus den vergangenen sechs Jahren an der Unternehmensspitze von Deutschlands zweitgrößtem Pharmakonzern. Denn ab Mittwoch (3.6.) steht der Mediziner und Mathematiker, Pharmaboss und Christ als Präsident dem evangelischen Kirchentag in Stuttgart vor. Fünf Tage lang über Fronleichnam ist es dann auch an ihm, dass die über 100.000 protestantischen Schäfchen, die zum 35. Laientreffen der deutschen Protestanten pilgern werden, quasi ihren Segen finden.
Barner ist bekennender Christ. Man sagt ihm nach, er bete vor wichtigen Entscheidungen, vermutlich gerade auch vor solchen, die seinen Arbeitgeber betreffen – einen Konzern mit 13 Mrd. Euro Umsatz und rund 50.000 Mitarbeitern. Ob Gott Barner allerdings immer anhört, steht freilich auf einem anderen Blatt geschrieben. Denn auch Boehringer hatte in den vergangenen Jahren hier und da zu kämpfen – zuletzt dem Multi-Millionen-Dollar-Vergleich um Pradaxa-Blutungsrisiken in den USA.
Vielleicht darf man daher die Losung, die Barner für den Kirchentag gewählt hat, auch ein wenig als persönliche Botschaft Barners verstehen: „Damit wir klug werden“. Der zwölfte Vers aus dem Psalm 90 („Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.“) soll die Besucher des großen Christentreffs daran erinnern, dass der Glaube Quell aller Klugheit ist, zu wissen nämlich, dass wir endlich, unsere Tage gezählt sind, und wir erst daraufhin anfangen, unser Leben verstehen zu wollen.
Die Biowissenschaften – und mit ihnen die Pharma – machen es uns Tag für Tag vor: Die Hoffnung, dem frühen Tod ein Schnippchen zu schlagen, und der Glaube an Umsatzerlöse lassen die Forscher und Firmen ungeahnte Signalwege erkunden und spektakuläre Moleküle erforschen. Und Klugheit kann obendrein auch dort nicht schaden, wo vermintes Terrain zu meistern ist – das „Inverkehrbringen“ von Arzneimitteln ist ein Paradebeispiel dafür.
Barner musste im Vorfeld seiner Präsidentschaft einige Kritik für die Doppelrolle einstecken. Etliche Kritiker hinterfragten laut, wie ein Manager aus der Pharmaindustrie gleichzeitig ein solch ethisches und angesehenes Ehrenamt innehaben könne. Die Rechnung Pharma = böse, Kirche = gut, erschien den Skeptikern nicht schlüssig. Auch wurde Barner vorgeworfen, das Prestige seines Amtes unlauter für Boehringer nutzen zu wollen.
Doch so einfach hat der es sich nicht gemacht. Als sich 2007 anbahnte, dass er im Jahr darauf in das 15-köpfige Kirchentags-Präsidium gewählt werden würde, trat er prompt von seinem damaligen Amt als Chef des deutschen Verbands der forschenden Arzneihersteller (vfa) zurück – und zog so eine deutliche Trennlinie zwischen seinen Posten.
Seit 2013 nun ist Barner Präsident des Kirchentags (das Amt wird regelhaft zwei Jahre vor dem einem Kirchentag übernommen, danach wechselt der Inhaber). In der Zeit war er keineswegs mit unlauteren Versuchen aufgefallen, das Ehrenamt mit seinem Pharma-Job zu verquicken. Viel eher müsste man zu der Einschätzung gelangen, dass er seinen Kirchenjob still und heimlich absolviert hat. Das würde ohnehin zu ihm passen. Barner ist bekannt als Manager der leisen Töne. (nös)